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  • Thüringer Neonazi-Ausschuss: Wein, Weib und Verfassungsschutz

     

    Seine Aussagen lassen erahnen, wie anstrengend Helmut Roewer sein kann. Der Ex-Chef des Thüringer Verfassungsschutzes lobt sich vor dem Neonazi-Untersuchungsausschuss in den höchsten Tönen, gibt sich bockig, will von Fehlern nichts wissen. Ex-Mitarbeiter sprechen von “menschenverachtendem” Umgang.

    Helmut Roewer trägt himbeerrote Schuhe. Und wenn man seinen ehemaligen Untergebenen Glauben schenken mag, kann man froh sein, dass er überhaupt welche trägt, als er am Montag im Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags zum “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) in Erfurt den Saal betritt.

    Mehr als sieben Stunden lang hatten zuvor zwei ehemalige Verfassungsschützer Einblick in das Chaos gegeben, über das Roewer in seiner Zeit als Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) herrschte. Roewer war von 1994 bis 2000 Chef der Behörde, dann wurde er wegen einer Reihe von Affären suspendiert.

    Wie ein “balzender Auerhahn” habe Roewer eines Abends in seinem Büro mit sechs Mitarbeiterinnen an drei zusammengeschobenen Schreibtischen gesessen, die Jalousien unten, bei Kerzenschein, Rotwein und Käse, berichtet Karl Friedrich Schrader, einst Referatsleiter 22, Abteilung Rechtsextremismus. “Sie lachen darüber”, ruft Schrader den Landtagsabgeordneten zu, “heute lache ich auch darüber, aber damals war das nicht zum Lachen!”

    Schrader, 67, ist ein braungebrannter, redseliger Mann mit schneeweißem Schnauzer, dunklen Augenbrauen und Janker. 37 Jahre lang war er bei der Polizei, als Roewer ihn zum Verfassungsschutz holte, ihn neben dem Referatsleiter zum Personalratsvorsitzenden machte, und ihm versprach, er könne dort vor der Rente noch einmal richtig Karriere machen. So erzählt es Schrader vor dem Untersuchungsausschuss. Die Zusammenarbeit der beiden endete mit einem Hausverbot für Schrader, der inzwischen zwei Monate im Jahr als Jäger- und Farmverwalter in Namibia weilt.

    Beschwerden über Roewers Führungsstil

    Schrader beschreibt Roewer als unberechenbaren Vorgesetzten, der in “menschenverachtender Form” über seine Mitarbeiter geherrscht habe. Er selbst sei aus dem Urlaub zurückgekehrt und seine Stelle war gestrichen. Wenn es Ärger mit einem Referatsleiter gegeben habe, habe Roewer das Referat aufgelöst und Kritik mit demselben Satz abgebügelt: “Ich führe das Amt!”

    Es sei auch vorgekommen, dass Roewer ihn empfangen habe, die nackten Füße auf dem Tisch, verdreckt vom Barfußlaufen, sagt Schrader. Ein anderes Mal sei Roewer mit dem Fahrrad durch den sechsten Stock geradelt. “Da dachte man: In welchem Laden arbeitet man da?”

    Wie anstrengend Roewer sein kann, kann man erahnen, als er am Montag um halb sieben vor den Untersuchungsausschuss tritt. Er ist der wichtigste Zeuge. Ein schmächtiges Männchen, die dunklen Haare über die Glatze am Hinterkopf gekämmt. Mehr als vier Stunden hat er auf seine Befragung warten müssen, die Stimmung ist entsprechend. Trotz mürrischer Miene wirkt es so, als würde er das Blitzlichtgewitter und die Aufmerksamkeit der vielen Kameras genießen.

    Er sei 63 Jahre alt, ledig, Schriftsteller und wohne in Weimar, sagt Roewer. Und ihm wäre es lieb, wenn man ihm Fragen stellen würde, auf einen abendfüllenden Vortrag sei er nämlich nicht vorbereitet. Klare Ansage. Und das ist auch schon die längste Passage, die Roewer am Stück spricht, meist gibt er Ein-Wort-Antworten. Seine bockige, widerspenstige Art bei der Anhörung verlangt den Befragern, aber auch den Zuschauern reichlich Geduld ab. Es geht konkret um den Zeitraum zwischen 1994 und 1998, also bevor die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in den Untergrund abtauchten. Die Zeit nach 1998 wird der Ausschuss im Herbst bearbeiten.

    “Ich galt als Spitzenkraft. So ist das”

    Der Rechtsextremismus war bereits ein Problem, als Roewer im April 1994 vom Bundesinnenministerium in Bonn nach Thüringen kam. Und noch mehr das Amt selbst. Keine einzige Person dort habe die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt – “außer mir”, behauptet Roewer. Es ist eine gnadenlose Abrechnung mit seinen ehemaligen Mitarbeitern. “Ein Teil wurde fortgebildet, der andere Teil war nicht fortbildungsfähig. Das waren die hartnäckigsten. Denn gute Leute finden immer einen Job, dumme nicht.”

    Eine Weisheit folgt auf die andere. Er habe nach Anweisung des Innenministeriums das Amt neu strukturieren müssen, sagt er. “Aber gute Leute können in jeder Gliederung arbeiten, nicht so gute in keiner.” Sich selbst lobt Roewer in höchsten Tönen. “Ich hatte Erfahrung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, ich galt als Spitzenkraft. So ist das.”

    Von Versäumnissen, Fehlern, Pannen will der ehemalige Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes nichts hören. Den Verdacht, seine Behörde habe damals V-Leute vor Polizeimaßnahmen gewarnt, weist er empört von sich. Dabei war es ausgerechnet Tino Brandt, ein angeblich von Roewer angeworbener V-Mann, der bei einer Durchsuchung um 6 Uhr morgens die Beamten erwartete – mit einem Computer, bei dem gerade die Festplatte ausgebaut worden war, wie die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) ihm vorhält.

    V-Mann mit Narrenfreiheit

    Immer wieder landet das Gremium bei Brandt, der in den Akten als V-Mann 2045, Deckname “Otto”, geführt wird: Er war der wichtigste V-Mann, den der Thüringer Verfassungsschutz damals in der Szene hatte, wenn nicht sogar der einzige. Ein weiterer ehemaliger Verfassungsschützer, Norbert Wiesner, berichtet am Montag von den Schwierigkeiten beim Anwerben von Spitzeln, meist sei die Zusammenarbeit an der Unzuverlässigkeit der potentiellen Kandidaten gescheitert. Gerade im Skinhead-Bereich habe man fortwährend das gleiche Problem gehabt: “Die besaufen sich und können sich dann am nächsten Tag an nichts mehr erinnern.”

    Brandt, der Neonazi aus Rudolstadt, genoss Narrenfreiheit unter Roewer. Mehrfach sei er massiv darauf hingewiesen worden, sein Engagement bei der NPD herunterzufahren, berichtet am Montag Wiesner. Brandt aber ignorierte die Ansagen.

    Im Gegenteil: Nach seiner Enttarnung prahlte er damit, wie er die Behörde ausgetrickst und mit den 100.000 Euro, die er kassiert hatte, die Szene aufbaute. Vor dem Neonazi-Ausschuss in Erfurt erklärt Wiesner, Brandt habe ständig neue Handys und Computer gefordert und Ersatz für die Autos, die er zu Schrott fuhr.

    Über Brandt reden alle an diesem Montag – nur Roewer nicht. Die Behörde habe 1994 “überhaupt nicht” über eigene Erkenntnisse verfügt, sagt er stattdessen. Um dies abzustellen, habe man ihn geholt. “Eine führungsstarke und durchsetzungskräftige Persönlichkeit war gesucht – ich.” An Selbstbewusstsein fehlt es dem kleinen Mann nicht im Geringsten, stolz betet er seine Vita herunter, spricht von “sehr guten Noten” im ersten und zweiten Jura-Staatsexamen.

    Amnesie-Schub bei Roewer

    Kurz nach Roewers Dienstantritt in Erfurt kam es zum Buchenwald-Skandal: Böhnhardt und Mundlos marschierten in braunen SA-Uniformen durch die Gedenkstätte. Niemand ahnte damals, dass die beiden in den folgenden Jahren neun Migranten und eine Polizistin töten werden, eine beispiellose Mordserie in der Geschichte Deutschlands.

    Umso schlimmer, dass Roewer – wenn es stimmt, was er sagt – die Situation damals richtig einschätzte: Er sieht die Anti-Antifa als Zentrum der rechtsextremen Bewegung, die Gründung des Thüringer Heimatschutzes (THS) beobachtet er argwöhnisch, hält sie für “die militanteste Organisation von allen Kameradschaften in Thüringen”, wie er am Montag behauptet. Erst recht, weil THS-Mitglieder die NPD unterwandern. Er habe sich im Mai 2000 für ein Verbot des Heimatschutzes eingesetzt, sagt er, angeblich vergeblich.

    Befragt zur “Operation Rennsteig”, bei der das Bundesamt für Verfassungsschutz ab 1997 gemeinsam mit den Thüringer Kollegen zwölf V-Leute im THS gewinnen konnte, befällt Roewer ein Amnesie-Schub. “Ich habe keine konkreten Erinnerungen”, redet er sich heraus. Auch an den ominösen V-Mann Günther, den keiner in der Behörde kannte außer ihm und der 40.800 Mark kassierte, will sich Roewer nicht wirklich erinnern.

    Roewers Auftritt am Montag ist mühselig: Wie er sich feiert und auf Erinnerungslücken beruft, wenn ihn die beiden Linken-Abgeordneten Martina Renner und Katharina König in die Mangel nehmen. Candle-Light-Dinner und Radausflüge im Büro streitet er ebenso ab wie willkürliche Personalentscheidungen. Wer lügt? “Einer sagt die Unwahrheit”, konstatiert König und beantragt Vereidigung.

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    10. Juli 2012, 07:28 Uhr

    Von Julia Jüttner, Erfurt

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